Ernest Theodor Amadeus Hoffmann (Königsberg, 1776 – Berlín, 1822).

Der Mann, von dem ich sprechen will -sagt Theodor- ist niemand anders als der Rat Krespel aus H–. Dieser Rat Krespel ist der allerwunderlichste Mensch, der mir jemals im Leben vorgekommen ist. Als ich nach H– gezogen bin, hat die ganze Stadt über seine letzte Exzentrizität gesprochen.
Die Hilfe
Krespel ist sehr berühmt als gelehrter Jurist und ausgezeichneter Diplomatiker. Eines Tages bittet ein deutscher Fürst, der Anspruch auf ein bestimmtes Territorium gehabt hat, den Rat um Hilfe. Der Fürst erlangt das Territorium und um sich zu bedanken, übernimmt er die Kosten eines Hauses, das Krespel ganz seinem Gefallen aufbauen darf. Der reiche Fürst schenkt Krespel auch ein groβes Grundstück aber Krespel verzichtet auf das Land. Er will nur ein schönes Haus bauen, denn er kann kein Haus finden, das ihm gut gefällt.
Das Haus
Mit dem Geld vom Fürst kauft der Rat alle mögliche Baumaterialen. Tagelang löscht Krespel den Kalk, siebt er den Sand, setzt er die Mauersteine in reglmässige Haufen auf, zieht er sonderbare Kleidung an, die er übrigens selbst nach bestimmten eigenen Prinzipien angefertigt hat. Eines Tages geht er zu einem tüchtigen Baumeister in H–, und bittet ihn, sich morgen bei Anbruch des Tages mit sämtlichen Arbeitern zu seinem Grundstück zu gehen, und sein Haus zu bauen. Der Baumeister fragt natürlicherweise nach den Plänen des Hauses und erstaunt nicht wenig, als Krespel antwortet, es gibt keine Pläne. Er will das Haus ohne Pläne bauen, ganz spontan.
Am folgenden Tag kommt der Baumeister mit seinen Leuten an Ort und Stelle, wo sie einen viereckigen Graben vorfinden. Krespel sagt: “Bauen Sie hier das Fundament meines Hauses, und dann bitte ich die vier Mauern so lange aufzubauen, bis ich sage, nun ist es hoch genug.” “Ohne Fenster und Türen, ohne Zwischenwände?”, fragt der Baumeister, wie über Krespels Wahnsinn erschrocken. “So wie ich ihnen sage, bester Mann”, erwidert Krespel sehr ruhig. “Wir bauen alles spontan.” Nur das Versprechen reicher Belohnung konnte den Meister bewegen, den unsinnigen Bau zu unternehmen.
Der Hausbau
Die Arbeiter beginnen mit dem Hausbau und finden alles bald sehr lustig. Jeden Tag gibt es viel Essen und Getränke und die vier Mauern steigen unglaublich schnell in die Höhe, bis eines Tages Krespel ruft: “Halt!”
Da schweigt Kelle und Hammer, die Arbeiter steigen von den Gerüsten herab und umringen Krespel. Man kann lesen in jedem lachenden Gesicht: “Aber wie geht es nun weiter?”
“Platz!”, -ruft Krespel. Dann geht der Rat einige Male um das Haus und bleibt letztendlich stehen. Seine spitze Nase zeigt an die Wand und laut schreit er zu den Arbeitern: “Heran, heran, ihr Leute, schlagt mir die Tür ein, hier schlagt mir eine Tür ein!” Krespel gibt Länge und Breite genau an. Die Maurer machen ein Loch für die Tür in die Wand, genau nach Krespels Anweisung. Dann geht der Rat in das Haus und lächelt, als der Meister ihm sagt, daβ die Mauer die genaue Höhe eines zweistöckige Haus hat. Krespel sagt weiter: “Hier ein Fenster, sechs Fuβ hat, zwei Fuβ breit! Dort ein Fensterchen, drei Fuβ hoch, zwei Fuβ breit!” Und so schlagen die Arbeiter überall Löcher in die Mauer.
Gerade in dem Moment bin ich angekommen. Hunderte von Menschen haben um das Haus herum gestanden. Jedes Mal, daβ die Steine herausfligen und wieder ein neues Fenster in einem unerwarteten Ort entstanden sind, haben die Leute geklatscht und gejubelt.
Das Einweihungsfest
Der Rat macht ungestört mit dem Bau weiter. Diese ungewöhnliche Art ein Haus zu bauen, aber noch mehr die Freigiebigkeit von Rat Krespel, amüsiert die Leute. Alle haben gute Laune und sehr bald steht da ein völlig eingerichtetes Haus. Von auβen ist es eigenartig, denn kein Fenster ist dem andern gleich. Aber von innen ist es sehr gemütlich.
Sein liebster Freund Professor M*** hat uns beide vorgestellt und Krespel hat mir auch das Haus gezeigt. Es ist das erste Mal gewesen, daβ ich mit dem seltsamen Mann gesprochen habe. Dienstags zum Mittagessen iβt er normalerweise bei Professor M***, aber seit langem geht er nicht mehr him, weil er mit dem Bau des Hauses zu beschäftigt ist.
Dann endlich kommt das Einweihungsfest. Viele hoffen, daβ der Rat sie einlädt. Aber er lädt nur den Baumeister und seine Helfer ein. Es gibt ein groβes Festessen mit den feinsten Delikatessen. Am Abend kommen die Frauen und Töchter und es beginnt ein groβer Ball. Zuerst tanzt der Rat ein wenig mit den Meisterfrauen, aber dann nimmt er eine Geige, setzt sich zu den Stadtmusikanten und dirigiert die Tanzmusik bis zum hellen Morgen. Ab da sehen die Leute Krespel als Volksfreund.
Bei dem Professor
Den Dienstag nach diesem Fest treffe ich ihn endlich bei dem Professor M*** zum Mittagessen. Da verhält sich der Rat sehr sonderbar. Er ist steif und ungelenkig. Immer glaubt man, er macht alles kaputt, wenn er sich bewegt. Er geht mit gewaltigem Schritt um den Tisch mit den feinsten Tassen gedeckt herum, er manövriert gegen einen groβen Spiegel, er ergreifft sogar einen wertvollen Blumentopf aus Porzellan und schwenkt ihn in der Luft herum, während er begeistert spricht; aber nichts passiert. Dann schaut er sich alles in dem Zimmer von Professor M*** genau an. Ja, er steigt sogar auf einen Stuhl und holt sich ein Bild von der Wand, um es anzuschauen. Er redet viel und laut und wechselt oft das Gesprächsthema; ab und zu kann er von einer Idee nicht loskommen, er verliert sich beim Sprechen und sucht dann wieder ein neues Thema. Seine Stimme ist manchmal rauh und laut, aber manchmal auch leise und langsam, wie ein Gesang. Er findet es schwer, sich dem Gesprächsthema anzupassen. Man spricht zum Beispiel über Musik und rühmt einen neuen Komponisten aber der Rat spricht sehr schlecht über ihn un plötzlich weint er fast und erzählt etwas von einer berühmten Sängerin, von der wir schon vor über einer Stunde gesprochen haben.
Das Essen und eine indiskrete Frage
Zum Essen gibt es Hasenbraten und der Rat Krespel fragt nach den Hasenpfoten. Die Kinder von dem Professor interessieren sich sehr für diesen komischen Mann, aber sie haben auch groβen Respekt vor ihm. Der Nachtisch kommt und der Rat zieht plötzlich ein kleines Kästchen aus seiner Tasche. In dem Kästchen ist eine kleine Drehbank aus Stahl. “Was will er damit?”, denke ich im Innern. Dann macht der Rat nun sehr schnell und sehr geschickt aus den Hasenknochen sehr kleine Döschen und Kügelchen, zur vollen Begeisterung der Kinder, die jetzt ihn umringen.
Das Essen ist zu Ende und alles steht auf. Da fragt die Nichte von dem Professor den Rat: “Was macht denn unsere Antonie, lieber Rat?” Das Gesicht von dem Rat verändert sich mit einem Schlag; er sieht so aus, als iβt er eine saure Orange, tut aber so als ist sie seht süβ. Dann wird sein Gesicht düster und er sagt mit verstecktem Hohn: “Unsere? Unsere liebe Antonie?”
An dem Blick des Professors kann ich sehen, daβ seine Nichte etwas Indiskretes gesagt hat.
Der Rat und seine Geigen
“Wie geht es mit den Geigen?”, fragt der Professor den Rat lustig. Da wird der Rat wieder freundlich und antwortet mit seiner starken Stimme: “Ausgezeichnet, Professor, ausgezeichnet. Heute habe ich eine sehr gute Geige von Amati gefunden. Ich habe sie durch einen Zufall kaufen können. Ich hoffe, Antonie hat sie schon auseinandergenommen.”
“Antonie ist ein gutes Kind”, sagt der Professor ganz schnell.
“Ja, wirklich, das ist sie”, sagt der Rat sehr laut. Er dreht sich um geht schnell zur Tür hinaus. Im Spiegel sehe ich, daβ er Tränen in den Augen hat.
Nun bitte ich den Professor: “Was bedeutet das alles? Wer ist diese Antonie und was ist mit den Geigen?” “Ja”, sagt der Professor. “Krespel baut die herrlichsten Geigen. Das sagen viele Experten. Früher hat er erlaubt, daβ andere Leute auf seinen besten Geigen spielen. Aber jetzt will er das nicht mehr. Jetzt spielt nur er eine oder zwei Stunden auf einer neuen Geige. Dann hängt er sie zu den anderen an die Wand. Er faβt sie dann nie wieder an und niemand darf sie anfassen. Wenn der Rat von einer alten Geige eines alten Meisters hört, dann sucht und kauft er sie zu jedem Preis. Auch die spielt er nur einmal. Dann nimmt er sie behutsam auseinander und untersucht ihre innere Struktur. Wenn er nicht das findet, was er sucht, wirft er die Stücke in eine groβe Truhe aus Holz, die schon ganz voll von kaputten Geigen ist.”
Wer ist Antoine?
“Was ist aber mit Antonie?”, will ich wissen.
“Das ist eine komplizierte Sache”, antwortert der Professor. “Eigentlich will ich den Rat dafür hassen aber ich kann es nicht, denn er ist im Grunde ein gutmütiger Mensch. In der Beziehung zwischen dem Rat und Antonie muβ es ein Geheimnis geben.
“Der Rat ist vor einigen Jahren in H– angekommen. Er hat sehr zurückgezogen mit einer alten Haushälterin in einem finsteren Haus in der XY-Straβe gelebt. Die Nachbarn sind bald sehr neugierig gewesen, weil er so sonderbar ist. Er hat die Neugierde der Nachbarn bemerkt, hat es ausgenutzt und hat dann Bekanntschaften gesucht und auch gefunden.
“Die Leute haben sich schnell an ihn gewöhnt. Ja, für viele Leute ist er richtig unentbehrlich. Er ist zwar nach auβen rauh, aber sogar die Kinder lieben ihn und trotzdem belästigen sie ihn nicht, weil sie auch einen bestimmten Respekt vor ihm haben. Sie haben gesehen, wie er sie mit kleinen Tricks für sich gewinnen kann.
“Nach einiger Zeit ist er wieder abgereist. Niemand weiβ wohin. Wir alle haben ihn für einen Jungeselle gehalten und er hat uns nie wiedersprochen. Monate später ist er dann wiedergekommen.”
Im Krespels Haus
“Und was ist dann passiert?”, frage ich den Professor. Er fährt fort: “Am Abend nach seiner Rückkehr sind die Fenster von Krespels Haus sehr erleuchtet gewesen. Das hat die Nachbarn neugierig gemacht. Bald hat man die wunderbare Stimme einer Frau gehört, von einem Piano begleitet. Dann die Töne einer Geige. Es war wie ein Gespräch zwischen beiden. Man hat sofort gehört, daβ der Rat die Geige gespielt hat. Ich bin auch zu den Leuten vor Krespels Haus gegangen. Ich muβ Ihnen sagen, ich habe noch nie eine so ausdrucksstarke Sängerin gehört. Alle berühmten Sängerinnen sind grau im Vergleich zu ihr. Noch nie habe ich solche Töne gehört: machmal war es wie der Gesang einer Nachtigall, dann haben sie die Stärke einer Orgel angenommen und machmal waren sie so leise und zart wie ein Hauch. Niemand konnte sich diesem süβen Zauber entziehen. Nur wenn die Sängerin eine kurze Pause gemacht hat, konnte man leise Seufzer von den Leuten hören. Es war vielleicht schon Mitternacht als wir die starke Stimme des Rats gehört haben. Eine andere männliche Stimme hat ihm Vorwürfe gemacht. Dazwischen hat ein Mädchen in unterbrochenen Sätzen geklagt. Der Rat hat lauter und lauter geschrien und am Ende ist er in diesen bekannten Gesangton gefallen. Ein lauter Schrei des Mädchens hat ihn unterbrochen un dann ist es totenstill geworden.
“Kurz danach ist ein junger Mann aus dem Haus gerannt. Er ist in eine Kutsche gestiegen und schnell weggefahren.”
Ist der Rat ein grausamer Mensch?
Am nächsten Tag war der Rat sehr glücklich. Niemand hat den Mut gehabt, ihn nach den Ereignissen der letzten Nacht zu fragen. Von der Haushälterin haben die Leute dann gewuβt, da βer ein sehr schönes Mädchen von seiner Reise mitgebracht hat, die Antonie heiβt. Sie war diejenige, die an dem Abend so schön gesungen hatte. Auch ein Junger Mann war gekommen. Er ist sehr zärtlich zu Antonie gewesen und wahrscheinlich war er ihr Bräutigam. Der Rat wollte aber nicht, daβ er bleibt un er muβte abreisen. Welche Beziehung hat nun der Rat zu Antoine? Das ist immer noch ein unentziffertes Geheimnis. Aber eine Sache ist sicher: Der Rat tyrannisiert das Mädchen auf die gehässigste Weise. Er bewacht sie wie der Doktor Bartolo im Barbier von Sevilien seine Mündel. Sie darf nun selten ans Fenster gehen. Wenn er einmal mit ihr ausgeht, dann verfolgt er sie mit Argusaugen. Er erlaubt nich, daβ man in ihrer Nähe Musik macht. Sie darf nicht mehr singen, weder im Haus noch auβerhalb.
Die Gesang von Antonie is t deshalb unter den Einwohnern in der Stadt zu einer Sage geworden. Sie hat eine engelhafte Stimme und der Gesang von ihr ist wirklich wie ein herrliches Wunder. Viele Leute haben sie in jener Nacht nicht gehört aber eine Geschichte wie diese regt die Phantasie und die Gefühle der Leute n. Jetzt, wenn eine andere Sängerin versucht hier in der Stadt etwas zu singen, sagen sie: “Was ist denn das für ein gemeines Quinkelieren? Nur Antonie weiβt, was singen ist.”
Der Plan
Die Geschichte des Professors über Antonie fasziniert mich und da ich auf solche phantastische Erzählunge ganz versessen bin, Ihr könnt wohl denken, wie notwendig es für mich ist, das Mädchen kennenzulernen. Auch ich habe vorher schon die Kommentare der Leute über die Schönheit ihres Gesanges gehört aber ich habe nicht gewuβt, daβ sie von diesem verrückten Krespel wie von einem tyrannischen Zauberer gefangen ist. In der folgenden Nach habe ich von ihr und ihrem wunderbaren Gesang geträumt, hat sie mich gebeten sie zu retten. Am nächsten Tag entscheide ich, in das Haus von Krespel zu gehen, um die Königin des Gesangs aus ihrer Gefängnisburg zu befreien, wie der Prinz aus Ariosts Epos Orlando furioso.
Die Königin der Geigen
Es kommt aber alles ganz anders, als ich erwartet habe: Ich sehe den Rat zwei– bis dreimal und spreche mit ihm über die beste Struktur von Geigen. Da lädt er mich in sein Haus ein. Er zeigt mir seine vielen Geigen. an der Wand hängen bestimmt dreiβig. Eine mit einen Löwenkopf sieht sehr altertümlich aus und hängt höher als die anderen Geigen; über ihr ist eine Blumenkrone. Diese Geige sieht wie die beste aller Geigen aus. Ich frage den Rat nach ihr. “Diese Violine”, sagt er, “diese Violine ist ein sehr merkwürdiges und wunderbares Stück von einem unbekannten Meister; wahrscheinlich aus Tartinis Zeiten. Ich bin überzeugt, daβ ihre innere Struktur etwas Besonderes hat. Vielleicht finde ich das lang gesuchte Geheimnis, wenn ich sie zerlege. Manchmal glaube ich, sie spricht zu mir, wenn ich auf ihr spiele. Ja, lachen Sie nur. Sie ist ein totes Ding. Aber wenn ich auf ihr spiele, lebt sie, dann spricht sie zu mir und sagt nur das, was sie will. Glauben Sie ja nich, daβ ich abergläubisch bin aber ich traue mich nicht, dieses stück altes Holz aufzuschneiden. Und freut mich, daβ ich es nich gemacht habe, denn Antonie hört es sehr gern, sehr gern.” Der Rat ist sehr gerührt und so frage ich ihn mutig: “Mein bester Herr Rat, wollen Sie jetzt nicht auch etwas für mich speielen?”
Ein seltsames Geschenk
Krespel macht ein süβsaures Gesicht und spricht mit diesem singenden Ton: “Nein, mein bester Herr Studiosus!” Für ihn ist damit das Thema abgeschloβen. Danach zeigt er mir zum Teil kindische Raritäten. Am Ende greift er in eine kleine Schachtel und holt er ein zusammengelegtes Papier heraus. Er drückt mir das kleine Papier in der Hand und sagt sehr feierlich: “Sie sind ein Freund der Kunst. Nehmen Sie diese Geschenk und behalten sie es als ein wertvolles Andenken. Es muβ Ihnen immer über alles wichtig bleiben.” Mit diesen Worten schiebt er mich sanft zur Tür. Zum Abschied umarmt er mich. Ich mache das Papierchen auf und finde ein Stück von einer Violinensaite. Auf dem Papier steht: “Diese Saite ist von der Geige des verstorbenen Stamitz. Er hat sie bei seinem letzten Konzert auf seine Geige gespannt.” Nach dieser seltsamen Verabschiedung denke ich, daβ ich Antonie vielleicht nie sehen kann.
Das Treffen
Aber es kommt wieder anders. Ich besuche den Rat zum zweiten Mal und was für eine Überraschung als ich da auch Antonie sehe. Sie hilft Krespel, eine Geige zusammenzubauen. Antonie sieht auf den ersten Blick nicht sehr besonders aus aber bald entdecke ich ihre versteckte Schönheit, ihre schönen Rosenlippen, ihre blauen und groβen Augen und ihre zarte Figur. Sie ist sehr blaβ. Wenn aber jemand etwas Lustiges erzählt, dann wird ihr Gesicht leicht rötlich.
Der Rat ist überhaupt nicht miβtrauisch und ich kann ruhig mit ihr sprechen ohne daβ ich mich von dem eifersüchtigen Blick des Rats beobachtet fühle. Im Gegenteil, ihm gefällt es sogar, daβ ich mit Antonie rede. Ehrlich gesagt, ich glaube, der Professor hat sich mit seinem Kommentar über Krespel geirrt.
Die Verzauberung
Nach diesem schönen Treffen, besuche ich oft den Rat und Antonie. Mit der Zeit entsteht zwischen uns eine intime und vertrauliche Atmosphäre. Ich finde den Rat immer noch sehr lustig mit seinen komischen Tricks aber tatsächlich interessiere ich mich nur für Antonie. Sie verzaubert mich total und läβt mich vieles von dem Rat oft langweilig und abgeschmackt ist, insbesondere wenn wir über Musik oder Gesang sprechen. Er sagt dann immer etwas Gemeines, lächelt dan diabolisch und ich sehe in dem traurigen Gesicht von Antonie, daβ sie nicht singen darf. Aber ich gebe nicht auf. Die Raritäten vom Rat animieren mich zu noch gröβerem Mut. Ich muβ den Gesang von Antonie hören. Ich träume oft von ihr und bin besessen von der Idee, sie singen zu hören.
Ein Gespräch über moderne Musik und alte Meister
An einem Abend hat Krespel besonders gute Laune. Endlich hat er beim Zerlegen einer alten Cremoneser etwas Besonderes gefunden. Der Stimmstock war um eine halbe Linie schräger als sonst. Ich nutze die Gelegenheit aus und es gelingt mir, ihn für die wahre Art des Violinspielens zu begeistern.
Krespel ist der Meinung, daβ die alten Meister früher nur deshalb so gut gespielt haben, weil sie die groβen Sänger imitiert haben. Ich sage dann, daβ es heute genau umgekehrt ist: Der moderne Gesang versucht die erkünstelten Sprünge und Läufe der Musiker zu imitieren. “Sie haben völlig recht, mein Freund!”, sage ich zum Pianoforte gehend. Ich öffne es und sage weiter: “Die Musik von heute hat den Klang einer handvoll Erbsen, die auf den Boden fallen!” Dann beginne ich sofort einige moderne Lieder sehr schnell und mit einigen falschen Akkorden zu spielen. Da lacht der Rat laut und schreit: “Haha! Die neuen deutschen Italiener oder unsere italienischen Deutschen Komponisten! Es hört sich wie eine Arie von dem italienischen Komponisten Pucitta oder von dem Portugiesen Portogallo an. Diese Versuche, die alten Meister zu imitieren sind einfach lächerlich!” Diese Versuche, die alten Meister zu imitieren sind einfach lächerlich!” Und dann spreche ich zu mir selbst: “Jetzt ist der richtige Moment gekommen!”, und ich sage zu Antonie: “Nicht wahr, Sie können das viel besser?” Ich beginne sofort mit einem herrlich romantischen Lied. Antonies Wangen glühen, ihre Augen blitzen. Sie springt sofort an das Pianoforte und öffnet ihre Lippen. Aber in diesem Moment geht Krespel dazwischen. Er nimmt meine Schultern und schreit mit schriller Stimme: “Söhnchen, Söhnchen, Söhnchen!” Dann nimmt er meine Hand und singend und leiser werdend sagt er mir in höflichem ton: “Wirklich, mein liebster Herr Studiosus, wirklich schade, daβ ich eine gute Erziehung habe. Deshalb kann ich Sie jetzt nicht sofort umbringen. Es wird bald dunkel und die Straβenlaternen funktionieren nicht. Deshalb ist es auch für ihre Gesundheit besser, wenn Sie jetzt schnell gehen. Erinnern Sie sich bitte an mich, ihren wahren Freund. Es kann nämlich sein, da Sieβ mich hier nie wieder treffen können, verstehen Sie? Nie wieder!” Er umarmt mich und schiebt mich zur Tür. Ich kann Antonie nicht noch einmal anschauen.
Eine Entscheidung
Man versteht, daβ in diesem Augenblick ich den Rat am liebsten verprügeln wollte aber ich konnte es in dieser Situation nicht. Als ich all dies dem Professor erzähle, lacht er mich aus und sagt, da mβeine Freundschaft zu dem Rat nun zu Ende ist. Ich halte die Situation nicht mehr aus. Ich kann nicht mehr in H– ohne Antonie leben. Der Schmerz überkommt mich und ich entscheide, die Stadt zu verlassen.
Eine Reise nach Süddeutschland
Mit der Zeit verblaβt das Bild Antonies, manchmal aber ich habe sie noch nicht vergessen können. Wenn ich ich einsam fühle, tröstet mich die Erinnerung an sie und die Vorstellung ihres nie gehörten Gesanges.
Zwei Jahre später, als ich in der Stadt B**gearbeitet habe, m ich βnach Süddeutschland reisen, in der Nähe der Stadt H–, die ich so gut gekannt habe. Das dunkele Rot der sinkenden Sonne, scheint die Stadt zu verzehren, die schon in der Entfernung zu sehen ist. Ich bekomme plötzlich eine seltsame Angst, die schwer zu beschreiben ist. Eine schwere Last liegt auf meiner Brust und ich kann kaum atmen. Ich muβ aus der Kutsche aussteigen. Die Angst wird immer stärken und bedrückender. Der Wind trägt Stimmen zu mir. Ja, jetzt höre ich es genau, es sind Männerstimmen, sie singen einen geistlichen Choral. “Was ist das? Was ist das?”, rufe ich aus lauter Verzweifelung und spüre einen starken Schmerz auf meiner Brust. “Sehen Sie es denn nicht?”, antwortet mir der Kutscher. “Da drüben auf dem Friedhof begraben sie einen!” Dann sehe ich einen Kreis schwarzgekleideter Menschen um ein Grab stehen, das einige Männer gerade zuschütten. Ich beginne bitterlich zu weinen. Ich habe das Gefühl, daβ man dort alle Lust und alle Freude des Lebens begräbt. Kurz danach sehe ich unter den Leuten den Professor und seine Nichte. Sie kommen gerade vom Friedhof und gehen Arm in Arm. Sie sehen mich nicht. Beide sind sehr traurig und die Nichte weint bitterlich. Ich schicke die Kutsche mit meinem Gepäck zu einem Gasthof und laufe ziellos durch die bekannte Gegend, um den Schmerz loszuwerden.
Das Wiedersehen
Ich komme zu einer Allee. Da sehe ich den Rat Krespel und zwei Trauermänner, die ihn stützen. Er trägt wie immer einen komischen, grauen Anzug. Auf dem Kopf hat er ein kleines dreieckiges Hütchen mit einem langen schwarzen Trauerflor, als Schmuck trägt er ein Degengehenk. Aber er hat keinen Degen darin sondern einen langen Geigenbogen. “der ist verrückt!”, denke ich und folge den Männern langsam. Sie gehen bis an Krespels Haus. Da umarmt er sie mit einem lauten Lachen und sie gehen weg. Der Rat bemerkt mich jetzt und er sieht mich lange starr an und ruft dann: “Willkommen, Herr Studiosus! Sie verstehen es ja auch.” Er lädt mich in sein Haus ein und zieht mich in das Zimmer mit den Geigen. Alle haben einen schwarzen Flor aber die Violine des alten Meisters fehlt. An ihrem Platz hängt ein Zypressenkranz.
Der Schmerz
Jetzt erst verstehe ich alles: “Antonie! Antonie!”, schreie ich verzweifelt. Der Rat sagt nichts und bewegt sich nicht. Ich zeige auf den Zypressenkranz. Der Rat antwortet mir feierlich und mit dumpfer Stimme: “Antonie ist gestorben. Im gleichen Moment ist mit dröhnendem Krachen der Stimmstock der Geige zerbrochen und der Resonanzboden ist auseinander gerissen. Sie konnte nur mit Antonie leben. Jetzt liegt sie bei ihr im Grab.” Ich muβ mich setzen, das ist alles zuviel für mich. Der Rat singt mit rauhem Ton ein lustiges Lied. Er springt auf einem Fuβ herum. Der schwarze Flor auf seinem Kopf bewegt sich im Takt seines Tanzes und als der Flor mich berührt, muβ ich vor lauter Panik schreien. Ich fühle, er will mich in den schwarzen Abgrund des Wahnsinns stürzen. Plötzlich beruhigt er sich und sagt mit seiner singenden Stimme: “Söhnchen, Söhnchen, warum schreist du so? Hast du den Totenengel gesehen?” Dann geht er in die Mitte des Zimmers, nimmt seinen Geigenbogen und zerbricht ihn über seinem Kopf. Er lacht laut und ruft singend nach einer lustigen Melodie: “Jetzt bin ich frei, frei, frei! Nun baue ich keine Geigen mehr!” Voll Grauen will ich schnell zur Tür hinaus gehen. Aber der Rat hält mich fest und sagt sehr ruhig: “Bleiben Sie, Her Studiosus! Sie glauben sicher, ich bin verrückt. Aber es ist nur mein Schmerz. Ich habe mir einen Schlafrock machen lassen, um wie das Schicksal oder wie Gott auszusehen!” Danach redet der Rat nur verrücktes Zeug, bis er erschöpft zusammenbricht. Ich rufe die alte Haushälterin und gehe aus dem Haus. Für mich ist es jetzt ganz klar, daβ der Rat verrückt geworden ist.
Ist Krespel in der Tat verrückt?
Der Professor ist nicht einverstanden mit mir. “Es gibt Menschen”, sagt er, “die können ihre Verrücktheiten nicht so gut verstecken wie andere Leute. Ein Ereignis oder ihr Charakter nimmt ihrem die Maske weg, die Maske der Normalität. Diese Menschen sind dann wie Insekten mit einer sehr dünnen Haut. Wenn sie sich bewegen, kann man auch die Bewegung ichrer Muskeln sehen und man denkt: Das ist sehr häβlich! Aber am Ende bewegen sie sich auch nicht anders als andere. Wir denken oft nur, aber Krespel handelt. Das Leben ist oft sehr hart und die Verrücktheiten von Kraspel sind nur eine Strategie um es ein biβchen erträglicher zu machen. Diese eigene Weise bringt ihm ein inneres Gleichgewicht. Sicher leidet er sehr unter dem Tod von Antonie. Aber ich bin sicher, daβ er schon morgen wieder sein normales Leben führt.”
Der Professor hat Recht gehabt. Am nächsten Tag hat sich der Rat beruhigt. Er ist fast wie früher. Nur baut er jetzt keine Geigen mehr und spielt auch nicht mehr auf ihnen.
Eine schreckliche Vermutung
Nach dem Gespräch mit dem Professor bin ich überzeugt: die Beziehung zwischen dem Rat und Antonie hat mir einer alten Schuld zu tun.
Ich vermute ein Verbrechen von Krespel und will es aufdecken. Deshalb reise ich noch nicht aus H– ab. Ich will ihn zwingen, sein Verbrechen zu gestehen. Lange denke ich über die Sache nach. Immer mehr bin ich überzeugt, daβ Krespel ein Bösewicht sein muβ. Ich überlege mir eine feurige Anklagerede. So gerüstet und ganz erhitzt gehe ich zu dem Rat. Ich attackiere ihn sofort mit Worten: “Wie können Sie nur so ruhig sein! Haben Sie kein Gewissen? Bereuen Sie Ihre schreckliche Tat überhaupt nicht?” Der Rat sieht mich verwundert an. “Worüber reden Sie, mein Freund?”, fragt er. “Setzen Sie sich bitte.” Aber ich kann nicht aufhören. Ich rede und rede. Ich klage ihn an, daβ er Antonie ermordet hat. Ich drohe ihm mit der Rache der göttlichen Justiz. Als neu promovierter Rechtsantwalt, gehe ich soweit, daβ ich ihm verspreche, alles anzuwenden, um der Sache auf die Spur zu kommen und ihn in die Hände der Justiz zu liefern. Der Rat bleibt unerschüttert und antwortet nicht auf meine Anklagen, er blickt mich sehr ruhig an, und erwartet daβ ich weiter fortfahre. Das versuche ich auch in der Tat, aber alles kommt so schief heraus, daβ ich gleich wieder schweige. Ein boshaftes und ironisches Lächeln geht über sein Gesicht. Dann wird er ernst und spricht mit einem feierlichen Ton: “Junger Mann! Du hälst mich sicher für verrückt, das verzeihe ich dir. Wir sind beide in dem gleichen Irrenhaus eingesperrt. Du kritisierst mich. Du denkst, daβ ich mich wie Gott der Vater fühle. Du aber, du glaubst, daβ du Gott der Sohn bist. Was ich dir nicht erlaube ist, daβ du in mein Leben eindringst. Du kennst mein Leben überhaupt nicht. Wie kannst du es verstehen, wenn es dir doch total fremd ist und bleiben muβ? Antonie ist tot und das Geheimnis ist gelöst!” Krespel geht schweigend im Zimmer hin und her. Die Stimmung ist sehr gespannt und ich bitte ihn, da βer mir jetzt seine Geschichte erzählt. Er sieht mich starr an, faβt mich bei der Hand und führt mich an das Fenster. Mit aufgestürzten Armen legt er sich hinaus und mit der verlorenen Sicht in den Garten, erzählt er mir die Geschichte seines Lebens. Als er seine Geschichte beendet, verlasse ich ihn gerührt und beschämt.
Krespels Liebe
Vor zwanzig Jahren war Krespel schon ein leidenschaflicher Liebhaber von den besten Geigen alter Meister. Diese Leidenschaft hat ihn nach Italien gebracht. Zu dieser Zeit hat er die Geigen nur gekauft, aber nicht selbst gebaut und zerlegt. In Venedig hat er dann die berühmte Sängerin Angela –i gehört. Sie hat damals ihre ersten Opern auf dem Teatro di Benedetto gesungen. Ihn hat nicht nur ihr herrlicher Gesang fasziniert, sondern auch ihre Schönheit. Der Rat hat sie kennengelernt. Er hat sie durch sein freches und ausdrucksvolles Geigenspiel für sich gewonnen. Schon nach wenigen Wochen haben sie geheiratet. Viele Leute haben das aber nicht gewuβt. Sie hat weiter im Theater unter ihrem Namen gesungen und hat den Namen ‘Krespel’ nicht akzeptiert, denn sie ihn “übeltonend” gefunden hat. Mit spitzer Ironie hat Krespel beschrieben, daβ sobald signora Angela –i seine Frau war, ihn mit ihren Launen gequält hat. Und bald ist ihre Ehe für ihn zur schrecklichen Hölle geworden. Jedesmal daβ er versucht hat, sich durchzusetzen, hat sie ihn vor allen Leuten lächerlich gemacht.
Nach einer Auseinandersetzung ist er eines Tages zu Angelas Landhaus gefahren. Da wollte er mit seinem Geigenspiel seinen Kummer vergessen. Die signora ist ihm nachgefahren. Sie war gerade in der Laune zärtlich zu ihm zu sein, sie hat ihn umarmt und ihr Köpchen auf seine Schulter gelegt. Aber er hat weitergespielt und sie unsanft mit dem Arm berührt. Da ist sie zurück gesprungen. “Bestia tedesca!“, hat sie voller Furie geschrien. Zuerst war der Rat wie paralysiert. Dann hat er vor Wut Angela mit Riesenstärke gefaβt und sie aus dem Fenster geworfen.
Danach ist er sofort nach Deutschland zurück gefahren. Lange Zeit hat er sich nicht um sie gekümmert, weil er gewuβt hat, daβ ihr nichts schlimmes passiert ist. Das Fenster war nicht sehr weit vom Boden. Trotz allem hat er mit der Zeit ein schlechtes Gewissen bekommen.
Eine Überraschung
Eines Tages hat er einen Brief von Angela bekommen. Der Brief war sehr lieb und sie hat nichts mehr zu der Szene im Landhaus gesagt. Sie hatte eine groβe Überraschung für ihn: Sie hat eine Tochter von ihm bekommen. Der Brief hat mit der Bitte geendet, daβ der ‘marito amato e padre felicissimo‘ nach Venedig kommen soll. Bevor er die Koffer packt, erkundigt der Rat sich bei einem vertrauten Freund über Angela und erfährt, daβ die Signora sich nach Krespels drastischer Tat völlig gewandelt hat. Der Rat bestellt Pferde und er setzt sich in den Wagen. “Halt!”, ruft er plötzlich zum Kutscher. “Wie”, murmelt er dann in sich hinein, “ist’s denn nicht ausgemacht, daβ sobald ich mich blicken lasse, der böse Geist wieder Kraft und Macht erhält über Angela? Ich habe sie schon aus dem Fenster geworfen, was soll ich nun im gleichen Falle tun? Was ist mir noch übrig?” Dann steigt er wieder aus dem Wagen, schreibt einen zärtlichen Brief an seiner Frau und bleibt in Deutschland.
Sie haben sich danach noch oft geschrieben: Liebe-serklährungen, Einladungen, Klagen über die Abwesenheit der Geliebten, verfehlte Wünsche, Hoffnungen usw., sind hin un her von Venedig nach H–, von H– nach Venedig geflogen. Angela ist endlich nach Deutschland gekommen. Sie hatte einen groβartigen Theaterauftritt als prima donna in FXX, aber Krespel wollte sie nicht sehen. Von seinen Freunden hat er einige Zeit später gehört, daβ seine Tochter auch eine groβartige Sängerin geworden ist. Krespel hat seine Tochter geliebt. Sie hat in seinem Innersten gelebt und sie ist ihm oft als Traumbild erschienen. Zwar wollte er sie sehen, aber sobald er an seine Frau gedacht hat, ist er lieber zu Hause, unter seinen zerschnittenen Geigen geblieben.
Eine neue Situation
Ein junger Komponist aus Fxxx hat sich in Antonie, die tochter von Angela und Rat Krespel, verliebt. Die Mutter und auch der Rat hatten nichts gegen die Heirat. Dem Rat haben sogar die Kompositionen des junges Meisters gefallen.
Krespel hat auf die Nachricht von der Heirat gewartet, aber stattdessen ist ein schwarz gesiegelter Brief gekommen, von fremder Hand geschrieben. Der Doktor R… hat dem Rat gemeldet, daβ Angela in der Nacht vor der Hochzeit an den Folgen einer heftigen Erkältung gestorben ist. Vor ihrem Tod hat Angela dem Doktor anvertraut, da Krespel ihr Mann ist und Antonie seine Tochter. Der Doktor hat dann den Rat gebeten, da βer sich jetzt um seine Tochter kümmert.
Die Tochter
Ihr könnt nicht glauben, wie herzzerreiβend mir der Rat den Moment geschildert hat, als er Antonie zum ersten Mal gesehen hat. Seine Erzählung war so intensiv, daβ ich sie kaum mit meinen Worten wiederholen kann. Er hat mit Antonie als eine Frau mit allen Tugende ihrer Mutter beschrieben. Aber sie war perfekter als ihre Mutter: Antonie haben alle schlechten Eigenschaften von Angela gefehlt.
Der junge Komponist, der mit Antonie gekommen ist, hat für Krespel eines seiner Lieblingslieder gespielt und Antonie hat gesungen. Der Rat hat noch nie eine so wunderbare Stimme gehört -sie war viel besser als die ihrer Mutter. Krespel war gerührt und hat Ströme von Tränen vergossen. Plötzlich hat er in ihrem Gesicht zwei rote Flecken gesehen. Er hat sie traurig umarmt und leise gebeten: “Nicht mehr singen, wenn du mich liebst. Es ist zuviel für mein Herz, die Angst… nicht mehr singen.”
Eine schreckliche Alternative
“Nein”, hat der Rat am folgenden Tag zum Doktor R… gesagt, “während sie gesungen hat, hat sie zwei dunkelrote Flecken auf den blassen Wangen gehabt, da war es nicht mehr dumme Familienähnlichkeit, nein, da war es das, was ich gefürchtet habe.” Der Doktor bestätigt seine schlimmsten Vermutungen: “Antonie hat einen organischen Fehler in der Brust. Dieser Fehler macht ihre Stimme so wundervoll, aber es ist auch sehr gefährlich für ihre Gesundheit. Wenn Antonie weitersingt, dann lebt sie nicht mehr lange… vielleicht noch sechs Monate.”
Der Rat war verzweifelt.
Das erste Mal in seinem Leben war er wirklich glücklich gewesen. Und jetzt war alles so plötzlich zu Ende. Er hat Antonie alles erzählt und sie vor die Alternative gestellt: Entweder kann sie mit ihrem Bräutigam gehen und noch kurze Zeit ein schönes Leben führen, oder sie kommt zu ihrem Vater und macht ihm eine groβe Freude. Dann kann sie noch viele Jahre weiterleben. Die Tochter ist dem Vater schluchzend in die Arme gefallen. Der Rat hat auch mit dem Bräutigam gesprochen. Der hat ihm versprochen, daβ er Antonie nie mehr zum Singen animiert. Aber Krespel hat gewuβt, daβ die Versuchung Antonie singen zu hören (wenigstens die Arien, die er komponiert) zu gro warβ und da dβas Publikum früher oder später Antonies schönes Gesang auch hören will. Und so haben Vater und Tochter entschieden, heimlich nach H– zu fahren.
Etwas Entsetzliches passiert
Der junge Komponist hat sie verfolgt und bald gefunden. “Nur einmal ihn sehen und dann sterben!”, hat Antonie ihrem Vater geschrien. “Sterben? Sterben?”, hat der Rat wütend geschrien. Antonie war das einzige Lebewesen auf der Welt, das ihm wirklich glücklich gemacht hat und jetzt entreiβt man sie ihm. Trotzdem hat er nachgegeben. Der Komponist hat auf dem Piano gespielt, Antonie hat gesungen und der Rat hat lustig die Geige gespielt bis zu dem Zeitpunkt, daβ Antonie wieder diese roten Flecken bekommen hat.
Der Rat hat ihr befohlen, da βsie aufhört. Der Komponist wollte sich gerade verabschieden, da ist Antonie mit einem lauten Schrei auf den Boden gefallen. “Ich habe geglaubt”, hat mir Krespel erzählt, “Ich habe geglaubt, daβ sie tot war.” Der junge Komponist war wie gelähmt. Da hat ihm der Rat gesagt: “Geehrter Klaviermeister, da Sie, wie gewollt und gewünscht, schon ihre liebe Braut ermordet haben, so können Sie jetzt ruhig abgehen, wenn Sie nich wollen, da icβh Ihnen den spitzen Hirschfänger steche… Wahrscheinlich habe ich bei diesen Worten graulich ausgesehen, denn er hat geschrien und ist schnell aus dem Haus gelaufen.”
Die Tochter und die Geige
Antonie war nicht tot; sie war nur ohnmächtig geworden. Der Rat und seine Tochter haben dann sehr eng zusammengelebt. Antonie hat ihrem Vater versprochen: “Ich will nie mehr singen. Ich will für dich leben.” Immer hat sie ihrem Vater geholfen, Geigen zu bauen und zu zerlegen. Natürlich hat der Rat alle gefährlichen Situationen für seine Tochter vermieden.
Eines Tages hat er diese wunderbare Geige gekauft. Als Krespel sie wie alle anderen zerlegen wollte, hat Antonie ihn sehr wehmütig angeblickt und hat leise bittend gesprochen: “Auch diese?” Krespel hat dann auf ihr gespielt und seine Tochter hat sofort freudig gerufen: “Ach, das bin ich ja, ich singe ja wieder.” Die Geige hatte einen wunderbaren Klang. Sie war fast wie eine menschliche Stimme. Der Rat war bis in das Innerste gerührt, hat herrlicher denn je gespielt und bei Akkorde mit tiefstem Ausdruck, hat Antonie die Hände zusammen geschlagen und begeistert gerufen: “Ach, das habe ich gut gemacht! Das habe ich gut gemacht!” Manchmal hat sie zu ihrem Vater gesagt: “Ich möchte jetzt gern etwas singen, Vater!” Dann hat der Rat die Geige von der Wand genommen und die schönsten Lieder von Antonie gespielt.
Ist es nur ein Traum?
Kurz vor meiner Rückkehr nach H–, kam es in einer Nacht dem Rat so vor, als ob er im Nebenzimmer auf seinem Pianoforte jemanden spielen hört, und bald hat er deutlich erkannt, daβ es der junge Komponist war. Er wollte vom Bett aufstehen aber er konnte es nicht. Er war wie gefesselt. Antonie hat leise Töne gesungen, die weiter und weiter bis zum fortissimo gestiegen sind und die ihr Verlobter für sie komponiert hatte. Krespel hat sich seltsam gefühlt: eine groeβ Freude hat sich mit heftiger Angst vermischt. Plötzlich hat ihn eine blendende Klarheit umgegeben und in dem Licht hat er ein Bild vor sich gesehen: der junge Komponist und Antonie haben sich fest umarmt und sich von Glück übersprudelt angeschaut. Die Musik und der Gesang haben ihn schwindlig gemacht und er ist in eine Art Traum gefallen.
Kurz danach ist. er mit groβer Angst aufgewacht und in das Zimmer von Antonie gelaufen.
Sie hat auf dem Sofa gelegen, ihre Augen waren geschlossen und ihre Hände fromm gefaltet. Auf ihrem Gesicht war ein friedliches und freudiges Lächeln.
Sie war aber tot.
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